es geht steil

Noch gestern habe ich mich in der Tourist-Info erkundet, nach der Möglichkeit Langlauf zu machen, denn vieles scheint hier nur auf Abfahrt eingerichtet zu sein, aber es wäre doch kurios, wenn Polens wichtigster Wintersport-Ort nicht auch Langlauf böte. Die Frau von der Tourist-Info hat ihrem Gesicht nach schon sehr viele Fragen an diesem Tag beantwortet und sicherlich haben sich manche wiederholt. Auch meine bekommt eine sehr kurze und klare Beschreibung. Vorm Gebäude den Bus von Haltepunkt 2 nach Kiry nehmen, 150 meter nach rechts, dann loslegen. Punkt. Sie macht einige schnelle Zeichen auf die Papier-Karte vom Nationalpark, reist sie ab und hält sie mir hin. Zur Sicherheit frage ich nochmal: Ich kann dort auch Equipment ausleihen? Das bejaht sie, bedankt sich und grüßt den nächsten.
Wenn das so einfach ist, dann ist das der Plan für heute. Busse fahren alle Nase lang. Gleich neben dem Hauptbahnhof, in dem auch die Tourist-Info ist, gibt es dutzende Haltepunkte für Busse in alle Dörfer der Region. Auch ins Nachbardorf Kiry gibt’s einen solchen Bus. Die Busse sind nicht ganz so groß, etwas älter, aber sicherlich wintertauglicher. IMG_20240131_162419.jpg

Der Motor aus dem letzten Jahrtausend scheint unkaputtbar und bringt beim Anlassen schon das Gefährt zum Vibrieren. Der alte Fahrer würgt mit der Eleganz eines Schmieds den Gang rein und wir ruckeln los. Er hat abgewunken, als ich einstieg und erst beim Aussteigen will er dann doch Geld. Von Kiry aus muss man tatsächlich bis zum Ortsrand von Kościelisko gehen, wo sich gespurte Loipen beginnend in den Wald schlängeln. IMG_20240131_094616.jpg

Vorbei an einem alten hölzernen Hotel eröffnet sich der Blick in eine Art Stadion mit dem typischen Biathlon-Schießstand. Ein paar wenige Menschen sind schon in der Spur und am Schießstand, sodass es nicht lange dauert bis es zu klimpern beginnt. IMG_20240131_095027.jpg

Unregelmäßig weht das blecherne Kling und Klong zu mir, während ich weiter nach einem Verleiher umschaue. Ich mache einige Meter ums Hotel, und einem anderen Holzgebäude, aber nirgends auch nur ein leises Zeichen. Parallel kommt immer mal ein Fahrzeug, Leute steigen aus, nehmen ihre Langläufer aus dem Kofferraum und legen los. Dann kommt sogar ein Reisebus mit lauter Kindern, die alle ihre Ausrüstung dabei haben und werden von Erwachsenen in die Spur gebracht. Zu allem Übertruss fährt sogar ein Bus des polnischen National-Teams vor. IMG_20240131_100828.jpg

Wieder steigen Sportler:innen aus, die ihre Ausrüstung dabei haben und sich in die Spur begeben. Von der anfänglichen Ruhe ist kaum etwas übrig. Es ist ein Gewimmel von Anfänger:innen bis Profis. Nur einer steht neben der Spur. Ich spreche einen Trainer an, aber wie schon vermutet, spricht der nur sehr sehr wenig Englisch oder gar Deutsch, versteht erst gar nicht mein Problem, verweist auf das Hotel, meint dann aber, dass nur in Zakopane selbst verliehen wird. Das wäre ziemlich blöd, weil ich die Ausrüstung erfahrungsgemäß für einen Stundenpreis ausleihe, sprich ich gebe zusätzlich Geld aus, damit ich mit der Ausrüstung im Bus nach Kiry fahre und dann wieder zurück.
Das war wohl erstmal nix. IMG_20240131_113447.jpg

Da ich aber nun die Karte aus der Tourist-Info habe, schaue ich mal nach den Wanderwegen. Südlich der Ortschaften bis zur slowakischen Grenze erstreckt sich der Tatra-Nationalpark und tatsächlich sind die Wanderwege begehbar. Nicht nur das, es schieben sich Massen an Familien in den Nationalpark und es gibt eine Schlange am Eingang, weil der Park Eintritt kostet. Ich vermute es sind Winterferien in Polen, anders kann ich mir an einem Mittwoch früh nicht so viele Menschen erklären. Gleich hinter dem Nationalpark-Eingang warten sehr viele pferdegezogene Schlitten. Selbst in der Stadt habe ich die schon rumfahren sehen, obschon die Kuven auf dem Asphalt unschöne Geräusche machen. IMG_20240131_093936.jpg

Die Wege sind über die Tage glatt-gelaufen und später geht mir auf, dass viele Eisen an ihren Schuhen haben, womit sie nicht ständig wegrutschen. Es scheint die Sonne, es ist für Ende Januar nicht sonderlich kalt, aber es schneit halt nicht. IMG_20240131_114412.jpg

Auf der Karte sind Wege in grün, gelb, rot und schwarz eingezeichnet und auch so auf Schildern und an Bäumen markiert. Verwirrenderweise bedeuten die Farben keine Schwierigkeitsstufen, sondern identifizieren diese nur. Manche Wege sind über den Winter gesperrt. IMG_20240131_121709.jpg

Ähnlich wie in Deutschland sind einige Bereihe der Nadelwälder fast gänzlich umgelegt. Vermutlich Borkenkäfer oder Sturm. IMG_20240131_104853.jpg

Irgendwann verlasse ich den Pfad der vielen Familien und begegne weniger Menschen. Nach mehreren Stunden gekraxel, wird mir ein Dilemma so richtig bewusst. Es ist auf einer simplen Karte, ohne Höhenlinien, die Welt in 2D dargestellt. Ganz unterbewusst dachte ich darüber nicht nach, muss aber feststellen, dass, wenn ich die Karte im gefalteten Zustand halte, sie der 3D-Realität am nächsten kommt. Die Hohe Tatra ist kein lapidares Mittelgebirge. Oft erweist es sich sinnvoller im Hochschnee zu gehen, weil ich auf diesen nicht wegrutsche. Besonders schwierig wird es gegen Ende als ich von über 1300 Metern wieder absteigen muss. Manchmal ist alles so glatt gelaufen, zum Teil von rodelnden Kindern mit verursacht, dass nur der Sprung in den Tiefschnee retten kann. Trotz aller Vorsicht legts mich diverse Male hin, aber im Schnee ist das zum Glück nicht so schlimm. IMG_20240131_105230.jpg

Auf den abseitigen Routen grüßt man sich mit “Cześć” (“Hallo”) und nur Kinder grüßen mich mit “Dzień dobry” (“Guten Tag”). Sonst war es immer nur “Dzień dobry”. Ich versuche jeden Tag was von der Sprache zu lernen und habe auch ein erstes Mal, als mich eine Familie angesprochen hat, auf polnisch gesagt, das ich kein Polnisch spreche (“Nie mówię po polsku”). Sie sind leider nur belustigt weitergetrottet, und ich vermute, dass sie nicht verstehen, wie ich den Satz kann, aber gleichzeitig sage, dass ich es nicht kann. Ich kann’s auch nachvollziehen, aber ich kann ja tatsächlich kaum mehr als “Guten Tag”, “Hallo”, “Ja”, “Nein”, “Danke” und “ich spreche kein Polnisch”. In Zakopane ist polnisch sehr wichtig, weil scheinbar nur die Polen gerade hier Urlaub machen. Englisch geht nur mit den jüngeren, den Nach-Wende-Schüler:innen. IMG_20240131_104802.jpg

Nach Stunden erreiche ich wieder eine Touri-Hauptroute, wo auch nicht mehr gegrüßt werden muss, und ich reihe mich in den Trott zum Wasserfall ein. Vor Ort bin ich dann allerdings etwas enttäuscht, weil so viel Wasser fällt da nicht runter, auch wenn er vergleichsweise hoch ist. Da ist es eher amüsant wie so manches Kind sich vom Spielen im Bach nicht abbringen lassen will, bis Vati dann den mehrfach gerufenen Gorytsch (das -tsch ist wohl eine Verniedlungsform, wie im deutschen -chen) raushebt. IMG_20240131_131130.jpg

Ein letztes Foto als mal kurz Ruhe ist und dann schlittere ich zurück ins Tal nach Zakopane. Ich durchschreite einmal die Stadt von Nord nach Ost, mit dem Ziel die Standseilbahn Gubałówka zu nutzen. Auffällig in der ganzen Stadt sind die großen Holzhäuser. Klar gibt es auch schlicht gebaute Häuser, aber es sind nicht wenige die komplett aus Holz und mit Verzierungen sind. Diese entsprechen einem eigenen Baustil, der Zakopane-Stil genannt wird. Ich habe euch mal die erste Villa, die in diesem Stil erbaut wurde, photographiert. IMG_20240131_142345.jpg

Schon hunderte Meter vor der Talstation lässt sich erahnen, wo es langgeht. Stände, die einen allen möglichen Kram verkaufen, säumen den Weg der vielen Menschen die zur Standseilbahn pilgern oder zurück kommen. So schlecht kann’s nicht sein, aber was spricht bei so vielen Verkäufer:innen gegen eine polnische Waffel oder eine georgische Pizza? Letztere heißt sicherlich nicht so, aber das beschreibts gerade am besten. Was besonders häufig angeboten wird, ist gegrillter Käse, angeblich eine regionale Spezialität. Ist dem Grillkäse nicht ähnlich. Für mein Geschmack ist der Käse nicht wirklich gegrillt, sondern eher geräuchert, hat eine sehr feste runde Form und kann an manchen Ecken auch direkt vom Grill gekauft werden, meistens aber wird er kalt angeboten.IMG_20240131_155948.jpg

Naja, so dann klettere ich nebst anderer in die moderne Bahn und komme auf dem kleinen Gipfel oben an. Der liegt mit knapp über 1100 Meter sogar unter dem, wo ich vormittags schon langgehangelt bin. Den Grund für die Beliebtheit kann ich nun bestätigen. Der Blick auf Zakopane und dem Bergmassiv dahinter ist postkartenfähig. Wenn ihr genau hinseht, sieht man mittig, hinten, am Ende der Stadt, wo der Wald beginnt, die Skisprungschanzen auf denen erst vorletzte Woche noch Weltcup stattfand. IMG_20240131_150457.jpg

Das Motiv ist so schön, dass ich darüber den ganzen Rummel an Verkäufer:innen und Restaurants auf dem Gipfel vergesse und es ausreize bis mir kalt ist. Ich denke, mit diesem Ausblick im Gedächtnis, können wir alle unsere Äuglein schließen und uns auf den nächsten Tag freuen.

 
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