Ab in die Republik Moldau

Doch bevor ich in den Tag eintauche, muss ich noch einen Nachtrag zum Vortag machen.
Am Abend habe ich einen anderen Reisenden getroffen: Jin, aufgewachsen auf den Philippinen nun wohnhaft in Spanien. Er im bunten Hemd und langen Mantel und ich so naja. Wir kommen sofort gut ins Gespräch. Reisende mit langjährigen Erfahrungen, haben doch manche Entwicklung gemacht, denen sie sich ähneln. Seit vielen Jahren immer wieder auf Achse, kann er auf fast 50 Länder schauen und viele sogar mehrfach bereist. Weltenbummler, wie im Lehrbuch.
Jin hatte nur schnell seine Sachen abgeladen und schon sind wir im abendlich-nächtlichen Iași unterwegs. Wir suchen erst was zu essen und dann ein Bierchen. Das mit den Essen war so semi, aber beim Bierchen finden wir eine urige Kneipe. IMG_20240212_204607.jpg

Allerdings sind wir auch die letzten Gäste am frühen Abend und verziehen uns wieder. Jin zeigt mir sein Büchlein, ein Notizbuch, in dem gute Wegesbekanntschaften Botschaften in ihrer Sprache schreiben. Also Botschaften an ihm, nur dass sie ihm nicht sagen dürfen, was sie geschrieben haben. Nun kann es mitunter Jahre, oder eher Monate dauern, eh Jin eine weitere Person trifft, die die Sprache beherrscht und nun ihm vorlesen kann, was ihm damals ins Heft geschrieben wurde.
Er zeigt mir die schönsten Blüten und ich bin ziemlich neidisch auf ein solch tolles Werk. Oft haben Menschen sich erst verewigt, wenn sie mehr Zeit, als wir, miteinander verbracht haben.
Er schreibt auch umfangreich auf, was ihm passiert ist und wir reden darüber, dass unser Reiseverhalten über die Jahre sich stark verändert hat. Viele Sachen überaschen nicht mehr und für viele “Hürden” haben wir einfache Lösungen gefunden. Es gibt ein starkes Urvertrauen und wenn es darauf ankommt, eine hohe kommunikative Kompetenz. Er spricht ein halbes Dutzend Sprachen, mindestens aber Spanisch, Englisch, Italienisch, Französisch und Tschechisch. Ich vermute da kommt noch eine philippinische Sprache hinzu und in anderen Sprachen zumindest ein paar Grundlagen. Deutsch ist da auch dabei.
Er zeigt mir die ganzen Erinnerungen und ich bin baff, was ihm so wiederfahren ist und wie er damit umgeht. Zum Beispiel schafft er es schon besser als ich, auch unangenehme Situationen schneller zu verlassen. Wir einigen uns, dass alleine reisen oft dafür sorgt, mehr Kontakt zu den Leuten in den bereisten Ländern zu bekommen. Wir haben beide unsere Erfahrungen mit Reisebegleitungen und Unterkünften, besonders über Couchsurfing. Er hat noch mehr Kontakt zu all den Menschen, denen er begegnet ist, da muss ich noch nachlegen. Auch was das Bankproblem betrifft, hat er eine Lösung, die ich mir annehmen möchte.
Beim letzten Bier rollen wir dann noch die ganzen Erfahrungen mit den Westeuropäer:innen aus, wie sie oft ihre Privilegien vergessen machen wollen und z.B. in Bangkok die Leute nach Geld fragen für ihre Selbstfindungs-Reise “ohne Geld um die Welt”, oder sich in Hostels mit anderen Privilegierten zu Partys treffen und über das bereiste Land sprechen, statt mit den Menschen. und so weiter und so fort.
Wir stimmen überein, dass wir einen schönen Abend hatten und vor allem bleibt das Gefühl bei mir, jemanden getroffen zu haben, der mein “Reise-Ich” schon gut kennt und dem ich vieles nicht umständlich erläutern muss. Gerne wieder.
Zum Glück kam er am gleichen Tag per Zug aus der Republik Moldau, sodass ich direkt Erfahrungen abgreifen konnte für meinen nächsten Tag.

Wie ich schon beschrieb, ist es möglich, aber ungünstig mit dem Zug in die Republik Moldau zu fahren, weil man wegen der Abfahrtszeiten auch sehr spät ankommt. Ich hucke also mein Schneckenhaus und gehe zum Busbahnhof, direkt gegenüber vom Bahnhof.
Es ist eher ein großer enger Hof mit vielen Parkplätzen, die an den Wänden durchgezählt sind. Es müssten so paar und zwanzig sein. Dazu parken noch weitere Busse wild in der Mitte. Busse heißt hier aber, dass es so Zwischendinger sind, mit ca. 15-20 Sitzplätzen. Keine richtigen Reisebusse, aber auch keine simplen Vans. Alle sehen neu aus und die jeweiligen Parkplätze sind Reisezielen zugeordnet. An den Wänden sind zudem Zeiten hinzugekritzelt. IMG_20240213_092325.jpg

Auch hinter der Windschutzscheibe sind die Orte und Zeiten benannt. IMG_20240213_091525.jpg

Wie oben beschrieben, kommt mir dieses System nicht unbekannt vor und ich bin einfach auf den Hof gestolpert und habe nach meinen Reiseziel Ausschau gehalten, aber schon nach Sekunden sehe ich einen Bus, der innerhalb der nächsten halben Stunde losstartet. IMG_20240213_091034.jpg

Besser kann es ja nicht laufen. Ein schmaler drahtiger Busfahrer fertigte gerade einen anderen Fahrgast ab und danach verständigen wir uns auf Zeichensprache. Das Gesicht ist von der Sonne und kalten Luft gebräunt, die Haare noch schwarz und kurz, aber im Ansatz grau. Schwarze Jogginghose mit nur einem Strich, schwarze Schuhe, schwarze Winterjacke. Er scheint auch in seiner Muttersprache nicht mehr zu reden, als wir beide tun.
Ich reibe mit den Fingern und zeige auf ihn und dann aufs Haus. Erst sehe ich den Ladebalken im Gesicht und dann gestikuliert er wild und zeigt auf sich. Alles klar, Tickets gibts bei ihm. Ohne Gestik, geht er zum Heck, und ich verlade meinen Rucksack. Danach kommt er mit dem Geld vom anderen Fahrgast und zeigt mir 60 Lei. Das wird wohl der Preis sein, ich geb 100 und bekomm 40. und das war’s an Kommunikation.
Er springt dann noch zu dem einen oder anderen Fahrer, und nach Kippe und Kaffee schmeist er den Motor an. Zwei Männer Mitte 50 schlafen auf den hinteren Plätzen, zwei Ömchen jenseits der 60 sitzen in der Mitte und ganz vorn so ein Jungscher mit Kopfhörern. und naja und ich halt. Wir sind eine selbst für den Bus kleine Gruppe. IMG_20240213_091305.jpg

Gefühlt sind wir auch Ruckizucki am Grenzübergang Sculeni. IMG_20240213_100536.jpg

Zweimal halten wir, es öffnet sich die Tür. Ein Grenzer steigt ein und sammelt alle Dokumente ein. Dann verschwindet er damit, wir fahren vor, dann kommt der Fahrer mit den Dokumenten, gibt es den Jungschen, fährt los und der Jugendliche muss nun die Reisepässe verteilen. Zwischendrinn fahren wir noch über den Grenzfluss Prut. Auf moldawischer Seite scheint man die Kapazitäten groß ausbauen zu wollen, zumindest ist das ganze Gelände eine riesige Baustelle und wir fahren gut Slalom. IMG_20240213_101104.jpg

Zu den Reisewahrheiten gehört auch, dass die Regel “gib nie deinen Reisepass aus der Hand” oft nicht eingehalten werden kann. Es wird im Internet davor gewarnt und empfohlen Kopien mitzunehmen und diese stattdessen abzugeben. Der Grenzbeamte hätte sicherlich nicht akzeptiert, wenn ich ihm eine Kopie hätte geben wollen. Bei der Einreise nach Rumänien fuhr der Zug ein Stück zwischen Abgabe und Rückgabe der Dokumente, wordurch ich einen kurzen Herzkasper empfand, dass mir der Ausweis abhanden ging. Aber sowas regelt sich viel zu oft, sodass Ruhe bewahren am weitesten kommt.
Da Dienstag vormittag auch an der Grenze eher ruhig ist, bis auf die LKWs aus der Republik Moldau kommend, sind wir auch direkt dran und schnell durch die Kontrolle. Es ist ziemlich verwirrend, dass das Land “Republik Moldau” heißt und umgangssprachlich Moldawien genannt wird. Historisch gesehen ist Moldawien eine Region in Ostrumänien und ein wenig in der Ukraine. Die Republik Moldau liegt genau genommen in der Region Bessararbien. In Rumänien gibt es auch den Fluss Moldova, zu deutsch “Moldau”, der Namensgeber ist, der gern verwechselt wird mit dem großen Fluss Moldau, der durch Prag fließt. Nun berührt der Fluss Moldova noch nicht ein Mal die Republik Moldau.
Die Landschaft ist eher Landwirtschaft. Es geht meist schnurstraks gerade aus und hin und wieder pflügt ein Trekker die Schwarzerde um. Manchmal fahren wir durch beschauliche Dörfer mit kleinen Häusern, selten dass es mal zwei Stockwerke werden. IMG_20240213_102458.jpg

Als dann wieder Plattenbauten den Horizont einnehmen, ist wohl klar dass wir auf eine Großstadt zufahren. IMG_20240213_111903.jpg

Bălți ist mit 100.000 Einwohner:innen schon die zweitgrößte Stadt des Landes und Ziel meiner Bustour. An einem verfallenen Busbahnhof mit kyrillischer Überschrift steigen alle aus. IMG_20240213_113423.jpg

Auch hier ist auf kleiner Fläche ein großes Gewusel für Kleinbusse in alle Richtungen und auch Taxi-Anbieter stehen direkt bereit, obschon ich das nicht bedarf.
Es wird die meisten Leser:innen langweilen, aber beim Versuch moldawisches Geld zu bekommen, ging trotz der Lösungsversprechen am Vortag, kein Geld von der Kreditkarte zu bekommen. Das macht mich wütend und wird wohl zu einer anderen Lösung führen müssen. Ich konnte noch Euros wechseln, weil Vorbereitung ist alles.
Das Geld ist ziemlich klein und beim Tauschen und Essen Bezahlen wurde jedes Mal zu Gunsten des anderen auf 10er gerundet. Der Wechselkurs liegt bei 19 moldawische Lei für 1 Euro. Angenommen die Rechnung sagt 144 Lei. Nun gebe ich 200 Lei in 2 Scheinen und bekomme 50 Lei zurück. Nicht 56.
In dem flachen Land ist auch die Stadt gut ausgebreitet und mein Fußmarsch über mehrere Kilometer quer durch die Stadt und Zentrum gibt mir einen ersten Eindruck. Tatsächlich ist meine Unterkunft schon fast am Stadtrand, gegenüber eines Plattenbauviertels. IMG_20240213_132529.jpg

Auf dem Weg komme ich an einem Friedhof vorbei, der seltsam verfallen wirkt. Im Hintergrund verfällt ein riesiges Haus, während die Kirche wie aus dem Ei gepellt wirkt. IMG_20240213_130521.jpg

Der Weg ist aber auch so lang, weil es sehr viele Industrieanlagen gibt, von denen auch viele verfallen wirken. IMG_20240213_123255.jpg

In Bălți entspricht der Kulturpalast wieder dem Klischee. IMG_20240213_122635.jpg

Auch wenn die Menschen mehrheitlich Moldawier:innen sind und Moldawisch als eine Dialekt des Rumänischen gilt, sprechen besonders in den Städten wohl viele Russisch, was nochmal besonders für Bălți gilt. Aber nicht nur deswegen ist vieles zweisprachig, in der Zeit als die Moldauische Sozialistische Sowjetrepublik als Teil der UdSSR bestand, wurde auch Moldawisch in Kyrillisch geschrieben. Das ist heute nur noch im abtrünnigen Landesteil Transnistrien so, in dem auch weiterhin die kommunistischen Symbole verwendet werden, obschon ansonsten vorallem Nostalgie übrig geblieben ist.
Nun führt das für mich zu der Situation, dass zwar vieles in Rumänisch oder Rumänisch und Russisch betitelt ist, aber halt auch manchmal nur in Russisch und da wird’s schwieriger. IMG_20240213_125200.jpg

Vielleicht erstmal so viel zum Start.

 
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