Abenteuer: Reise / Reise: Abenteuer
Ein grauer älterer Herr steht nun wie eine Statue neben mir. Es hätte so auch in vielen deutschen Kleinstädten sein können. Der Herr hat seine Schiebermütze über den grauen Haaren, zählt schon die Jahre bis zur Rente und schaut durch die runde Brille schnurstraks nach vorn. Er steht neben mir in einer der sechse Bushaltestellen von Malý-Lipník.
457 Einwohner:innen laut Wikipedia. Es kommt nur selten ein Fahrzeug durch. Ich hab förmlich Guten Tag gesagt, wie sich das gehört, aber bei dieser Konversation bleibts auch.
Das beschauliche Dorf ist schon eine halbe Stunde der Ort meines Wartens und nun 10 Minuten vor Abfahrt des Busses steht nun auch der Herr neben mir. Beamter, denke ich in mir, oder vom Leben frustriert, oder im Kopf schon beim Hecke schneiden. In meinem Kopf löst er Ruhe aus. Denn er bestätigt insgeheim, dass gleich der Bus so kommt, wie es der Plan vorsieht. Der ÖPNV-Plan, als auch mein persönlicher Plan. Für mich war der Gedanke über die Grenze zu wandern und dann per Bus weiter zu fahren, lange ein fast waghalsiger, ein abenteuerlicher-gewiefert Plan. Nicht genial, aber mutig. Die Präsenz der grauen Eminenz, zeigt aber, wie simpel der Plan ist und das hier nichts schief gehen kann. Diese Reise verliert an Abenteuer.
Da nun Muszyna lediglich eine sehr umständliche Verbindung nach Košice per Zug anbietet: über Tschechien und Bratislava; habe ich Plan 1 entwickelt. Man fahre mit dem Zug drei Haltestellen und läuft so die kürzeste Route bis zur nächsten slowakischen Kleinstadt, wo ein Zug regelmäßig fährt: Stará Ľubovňa. Da aber die Wege nicht alle eisfrei sind oder womöglich dank Autoverkehr anstrengend sein werden, gab es dann noch Plan 2. Ich laufe von der Unterkunft bis Malý-Lipník um dort den Bus nach Stará Ľubovňa zu nehmen. Für Leute, die wirklich alle Busverbindungen und Haltestellen der Slowakei auf einer Karte suchen: ubian.sk.
Plan 2 ist es geworden, weil er eine kürzere Wanderstrecke hat und weniger Risiko bietet. So, nun stehte ich an der Haltestelle neben dem grauen Herren, die Sonne scheint wieder.
Auf dem Weg hierher hat es gewindet und geregnet. Ich bin an weiteren Mineralwasserquellen der Marke Muszynianka vorbeigekommen
und dankenswerterweise hat ein Regebogen mir den richtigen Weg gewiesen. Das im manchmal sehr homophoben Polen die Regenbogen-Farben überhaupt erlaubt sind, wunderts mich kurz.
Wie dann am Horizont der grüne Bus auftaucht, wird sich ganz vorbildlich an die Einstiegstelle postiert und das säuberlich vorbereitete Münzgeld wortlos dargeboten. Auch der Busfahrer macht die Tour regelmäßig und identifiziert sich mit sein Fahrer-Beruf. Der Fahrer-Bereich ist geschmückt mit “Driver”-Bändern und kleinen Spielzeugbussen. Mich faszinieren Menschen die ihren Beruf lieben und ich finde das auch sehr unterstützenswert, aber gleichzeitig machen sie oft einen missmutigen Eindruck. Noch weiß ich nicht, warum das oft zusammengeht.
Der Bus klappert die ölfzig-hundert Haltestellen ab und entlässt auch mich schlussendlich am Busbahnhof. Der Bahnhof ist neben an und scheint ebenfalls seit gut 50 Jahren seine Dienste zu leisten, wenn auch manches mehr den Schein von damals trägt.
Die Wartehalle erscheint schon fast überdimensioniert. An der Wand ist noch eine Kunst-Darstellung der Sputnik-Raumkapsel, wie sie durch den Kosmos kreist.
Fahrkartenautomat gibt es noch nicht, aber dafür einen alten Schalter mit einen alten Mann, der aber nicht anders als ein Automat reagiert. Verwirrend lange starrt er auf sein Bildschirm, während für mich wahrnehmbar, nix passiert. Nach kaugummi-langen Minuten springt sein Drucker an und er schiebt mir die Verbindung hin. “áno” bestätigte ich mit dem slowakischen Wort für “Ja”. Nun durchsucht er seine Ticketsammlungen und scannt verschiedene nacheinander. Ähnlich langsam und roboterhaft. Es hätte ein Automat sein können, der lange “Warten” anzeigt und dann urplötzlich den Preis anzeigt und das Ticket ausgibt. Für den langen Prozess habe ich ein zwei-Daumen-großes Ticketchen bekommen. Na dann los.
Mit Verspätung ruckelt der kurze Triebwagen neben die übergrünten Bahnsteige. Eine Durchsage kommt für mich überaschend und darauf scheinen alle die slowakisch verstehen zu wissen, zu welchen Gleis wir müssen. Da nur wenige Züge am Tag hier abfahren, gibt es auch nicht viel Zweifel welcher Zug der richtige ist, da es nur einen gibt. Am Ende ist es nicht viel anders als ein großer Bus auf Schienen.
Wir sammeln alle paar Kilometer neue Leute ein und es zeigt sich ein wichtiger Riss in der slowakischen Gesellschaft. Während es einerseits die beschaulichen slowakischen oder russinischen Dörfer gibt, gibt es oft auch die Roma-Siedlungen nebenan, mit viel Müll und Wellblech. Das stellt sich auch bei den Fahrgästen ein. Während mein Rucksack direkt vor mir auf dem Boden stehend kein Kommentar findet, diskutiert die Schaffnerin drei Stühle weiter mit einem Rom darüber, seinen Sack in die Gepäckablage legen zu müssen. Jahrzehnte der Spaltung sind zu spüren und die Roma wirken arm, heruntergekommen und trotzig oder rebellisch, während der Rest im Wagon den Abstand sucht, ja fast naserümpfend. Es ist eine absurde, aber trainierte Dynamik. Jede und jeder weiß, was zu tun ist.
Es lässt sich nicht die Welt retten heute, und zum Glück erreichen wir Poprad-Tatry, wo ich umsteige. Poprad ist nicht nur ein großer Fluss, sondern auch eine slowakische Stadt, von der es kleine Züge in die Hohe Tatra gibt, also idealer Ausgangspunkt für Wintersport und Winterkrams.
Der Express-Zug nach Košice wartet schon. Diese Züge der ZSSK sind für mich mit die besten. Bequeme Stühle, Wlan, Strom, sehr viel Platz für Gepäck und Beine, verständliche Durchsagen auf Englisch. Was willste mehr.
Von Košice aus möchte ich ins Dorf Košické Oľšany, was direkt nebenan liegt. Ich beschließe einfach meine Beine zu nehmen und erst gar nicht nach dem Bus zu suchen. Ich laufe in der Dunkelheit entlang von großen Stadt-Highways in ein Plattenbau-Wohngebiet und darüber hinaus. Es geht stetig bergan und so siehts aus, als ich mich mal kurz umgedreht habe.
Irgendwann, so nach der Hälfte der über 8 Kilometer führt mich der Routenplaner auf eine Bundesstraße. Nun mangelts allerdings am Fußgängerweg. Am Ortsausgang von Košice soll ich also über Kilometer an der Straße langgehen, wo ständig mit hoher Geschwindigkeit Autos, Busse und Lkws an mir vorbeidonnern. Mir bleibt nicht viel übrig, als es zu wagen. Der anfängliche Standstreifen verschwindet und es wird wirklich sehr abenteuerlich. Mit dem Abenteuer, mit dem ich vormittags gerechnet und nicht bekommen habe, werde ich auf einmal konfrontiert. Ich finde einen Parallel-Weg im Wald, der aber in der Dunkelheit nicht immer eindeutig zu finden ist. Hinzu kommt, dass es mich mehrfach fast längs legt, weil es so rutschig ist. Ich weiß nicht was besser ist.
An einer Stelle finde ich eine Abkürzung und muss dafür einen vier Meter hohen Hang hinunter kriechen. Über eine kleinere Straße komme ich zurück auf die vielbefahrene Landstraße. An einem Kreisverkehr wird es sehr schwierig und ich muss sehr viel im Blick haben, während es keinen Weg für mich gibt, nur Hürden in Form von Leitplanken. Die Augen können sich auch nicht an die Dunkelheit gewöhnen, weil ständig ein Fahrzeug blendet. Oft warte ich auf das nächste Fahrzeug um zu sehen, wohin ich als nächstes trete. Was ein blödes Abenteuer, das nächste Mal nehme ich einfach den Bus.
Auf die letzten hunderte Meter gibt es wieder einen Standstreifen, aber ich passe kurz nicht auf und rutsche fast links den Hang runter, kann mich aber mit den Hängen auffangen, die nun blutig sind. Schöne Scheiße. Hilft nix, Rucksack richten, weiter gehts. Nach knapp 2 Stunden erreiche ich die Ortschaft Košické Oľšany. An der Bushaltestelle sehe ich, dass hier ölf-trillionen Busse am Tag zum Busbahnhof fahren. Für 1,50€.
Ich hab gelernt.
Für heute bin ich gut angekommen, diesmal bei Couchsurfern. Wir haben bis eben geredet und gelacht. Ich stell sie euch morgen vor. Schlaft gut. Ich heute unter Krtko.