Baia Mare II / Iași I
Bevor nun diesmal der Nachtzug mich mitschleift, habe ich noch einen Tag und offene “Sehenswürdigkeiten”.
Aus vielen Ecken der Stadt lässt sich Rumäniens größtes Bauwerk und Europas drittgrößter Schornstein sehen. Das macht es natürlich leicht dieses alte Industriedenkmal zu besuchen. Dachte ich zumindest. 350m hohe Bauwerke sind trotzdem weit weg. Die Kupferhütte ist seit Jahrzehnten außer Betrieb und der Turm sollte gifte Gase von Baia Mare fernhalten.
Das es weiter weg vom Zentrum ärmlicher wird und weniger gepflegt ist, ist wohl leider Zeichen jeder modernen Stadt, doch nun gab es den seltenen Moment, dass ich mich doch unsicher fühle. Auf dem Weg zum Industriegelände stand ich dann zwischen Häuserblocks die zum Teil verfallen sind, sprich Wände und Dächer sind großflächig eingebrochen, aber Licht und Wäscheleinen zeigen an, dass hier trotzdem Menschen leben. Alles ist mit Müll übersät, von irgendwo kamen große Rauchwolken beisendem Müllbrands, die die Straße einnebelten. Nun wäre das vielleicht noch in Ordnung, doch schaut mich hier jeder Mensch direkt an. Selbst von der gegenüberliegenden Straßenseite starren mich Jungsgruppen an. Mit der gebotenen Nicht-Hektik kehre ich um und gebe dieses Projekt auf.
Sobald ein Bürgersteig in Baia Mare etwas breiter ist, bekommt er eine gelbe Fahrradweg-Markierung. Nur fährt kaum jemand Fahrrad zur Zeit.
Gut, dann halt die andere Idee: Vor 24 Jahren war Baia Mare weltweit in den Schlagzeilen, weil der Damm einer Golderz-Aufbereitung brach. Wenn im industriellen Maßstab Gold gewonnen wird, gibt es mehrere Verfahren, aber eines ist die Nutzung von Natriumcyanid. Das gewonnene Gestein aus dem Bergbau enthält meist Gold-Verbindungen, sodass das Gold erst rausgelöst werden muss. Rumänien ist in Europa das Land mit dem meisten Goldvorkommen. Das Gestein wird zu Sand gemahlen und in der Lauge in riesigen giftigen Becken gelagert, wo sich Goldschlamm absetzt, der dann getrocknet und verarbeitet wird. Ein solcher Damm brach 2000 und führte zu der größten Umweltkatastrophe nach Tschernobyl in Osteuropa. Das Fischesterben gelangte dadurch bis in die Donau. Leider konnte ich auch hier nur den Damm vom Nachbardorf aus sehen. Gemessen an den Häuschen von der Gemeinde Tăuții de Sus ist er trotzdem sehr groß.
Dafür bin ich sehr weit durch dieses Dörfchen gelaufen, das wirklich einfach super langgestreckt ist.
Ich hatte nun doch mehr Zeit über als veranschlagt und war deshalb viel zu früh am Bahnhof. Baia Mare ist vermutlich der trostloseste Bahnhof meiner bisherigen Reise.
Fast alles ist geschlossen in dem Bahnhof. Nur die Toilettenfrau und ein Fahrkartenschalter sind übrig. Der Kiosk ist eine eigene Hütte gezogen. Im überdimensionierten Wartebereich richt es muffig. Wasser tropft von der Decke und Wänden und steht im Durchgang. Man kann eigentlich nur vor dem Bahnhof warten. Da aber nur sehr gelegentlich, oder eher gar nicht, Züge kommen, ist es sehr beschaulich.
Baia Mare hat zwei Herzen als Logo, ein B und ein M.
Erst die letzte halbe Stunde bevor mein Zug kommt, wird es voller am Steig. Nun erscheinen auch ein Dutzend Bahnhofsarbeiter. Offensichtlich ist der Zug am Abend das Tor zum Rest des Landes, viele haben andere Großstädte auf den Zetteln: Brașov, București, und so weiter.
Als der Zug einfährt, knappe fünf Minuten vorher, finde ich meinen Wagon nicht, denn bei den Fernzügen gibt es immer auch eine Sitzplatzreservierung. Der Schaffner deutet daraufhin, dass noch ein Wagon angehängt wird. Nun, die Lok wird abgehängt, krallt sich einen Wagen, rangiert umständlich durch den Bahnhof und setzt sich mit dem Wagon an die Spitze die nun in die Richtung zeigt, wo er hergekommen ist.
In dem offenen Mittelteil ist auch der Sitz meiner Begierde und von den 10 Sitzen sind nur 4 belegt. Entfernt sitzen zwei Zugnerds aus Österreich, die schon bald wieder aussteigen. und ausgerechnet neben mir sitzt ein älterer Rumäne. Typus “Don”, Familienvorsitzender. kaum Haare, aber diese streng nach hinten gekämmt. Schiebermütze, große Hände und von der Sonne und harten Arbeit gebräunte und verbrauchte Haut. Wohlstandskugel. Schon etwas waklig auf den Beinen. Sicherlich hat er schon erwachsene Kinder, denen er nicht zuhört aber Ratschläge erteilt. Zumindest stelle ich ihn mir so vor. Sicherlich hätte er gerne mit mir die Weltpolitik erörtert, er legt auch direkt mit der Konversation los, aber wir kommen auch schnell an dem Punkt, das wir keine gemeinsame Sprache haben. Es folgt nun, was kleinste Kinder auch machen. Essen, Schlafen, Scheißen und dann von vorn. Er rollt etwas Küchentuch auf den leeren Sitzen gegenüber aus, Weißbrot und Hühnchen-Schenkel. Es scheint zu munden, ich bleib mit meinen schwarzen Buchstaben auf weißen Papier beschäftigt. Achja, Spielen zwischendurch, habe ich in der Aufzählung vergessen. Die Inhalte seines Handys scheinen ihn zu belustigen, bis er dann auch einnickt.
Mit Verspätung erreichen wir Dej, und ich schleich mich langsam zur Tür, doch es zieht sich bis zum Bahnhof und bevor ich aussteige verabschiedet sich der Don dann doch noch von mir; auf dem Weg zum Klo.
Als ich schon draußen bin, steht der Zug immer noch im Bahnhof, da die Lok abgespannt und eine andere am anderen Ende angespannt wird. Der Zug fährt offensichtlich hier eine Art Kopfbahnhof. Nun wäre es vielleicht ein kurzer Grund rauszugehen, aber ich hätte zu viel Schiss, das der Zug ohne mich abfährt. Nicht so die Meute am Bahnsteig. Obschon für mich eindeutige Signale geschickt wurden, dass die Lok abfahrbereit ist, rennen Leute ins Bahnhofsgeäude für einen Kaffee oder Kakao. Hierzu sei gesagt: Es gibt mindestens zwei Dinge in jedem Bahnhof: eine Ticketverkäuferin und einen Kaffee-Automat, der billigsten Sorte.
Dej ist wohl ein Umsteigebahnhof und dank Verspätung, ist meine Umsteigezeit gut geschrumpft. Kommt gelegen. Dagegen ungelegen sind mir ja nachts oft betrunkene Menschen. Hier spielt sich der Vorteil aus, dass rumänische Bahnhöfe so viel Personal hat, wozu auch meist zwei Polizist:innen zählen. Gut beleuchtet sind sie auch.
Der Umsteige- und Rangierbahnhof ist in der Stunde voll im Betrieb. Eine Lok fährt von links nach rechts, dann wieder zwei von rechts nach links. eine stellt zwei Wagons ab, eine graue Lok gruppiert die Wagen neu, dann wird der Stromabnehmer eingefahren und der Lokführer steigt aus. Zwei blaue Loks fahren wieder auf die andere Seite und nun kommt die rote und koppelt mit den Wagons. Recht undurchsichtig für mich, aber es hat was von einem Theaterstück. Es passiert recht viel, aber warum, bleibt oft schleierhaft.
Eine Strategie bei unverständlichen Durchsagen auf Rumänisch ist, den Schaffner das Ticket zu zeigen und der zeigt dann auf den Zug oder ein anderes Gleis. Diesmal ein anderes Gleis. Strategie 2 ist, der Masse folgen. Eine Durchsage kommt und der Rest der wartenden Menschen klettert auf Bahnsteig 3. und so kommt’s dann auch.
Die Ticketverkäuferin hatte damals kein großes Gespräch mit mir geführt und offensichtlich für mich entschieden, dass ein Sitzplatz genügt, obschon beide Züge überwiegend Schlafwagen haben. Von halb Zehn bis 10 nach Fünf rollt dieser Zug nun für mich gen Osten. Aus der Kategorie: muss nicht sein, stammt auch, nachts den Schaffner zu wechseln und nochmal alle zu wecken.
Interessant ist eh, dass gefühlt die meisten Züge nachts rollen. Ich wach überascht auf und klettere schnell aus dem Zug. In Iași setze ich mich fürs erste in die Wartehalle und entscheide dann. Gegen halb 7 suche ich dann die Unterkunft auf und wecke offensichtlich jemanden hinter der Rezeption. Der ist zwar verdattert, aber so kulant, mir schon jetzt den Zimmerschlüssel zu geben. Nachts in Iași:
Trotzdem ist das mit dem Schlafen weitestgehen vertan und ich breche in den jungen Sonntag auf. Es gibt eine diagonale Achse in Iași, die die meisten Sehenswürdigkeiten verbindet. Nun scheint es so, dass der Teil, der als Bulevard-Straße genutzt wird, wegen Sonntag zur Fußgängerzone wird.
Fast schon Weihnachtsmarkt-ähnlich, aber ohne die Musik.
Ich befinde das als gutes Konzept und schlendere über die Straße, während die Stände ihre Warenauslagen ausbreiten. Die Straße läuft direkt auf den Kulturpalast zu. Das ist aber tatsächlich mal ein Palast und nicht wie er üblicherweise in den ehemals sozialistischen Ländern hin und wieder wirkt.
Irritierenderweise wirkt es an manchen Stellen so, als wenn der Muezzin zum Gebet ruft, aber es mangelt an den Moscheen. Tatsächlich haben die Kirchen Lautsprecher und übertragen vermutlich den Sonntagsgottesdienst. Später kriechen die Alten aus den vielen kleinen Kirchen, und klappern nach Hause.
Die Fußgängerzone-aber-sonst-Straße hat auch alle paar Meter ein Parteibüro, erst liberale, dann grüne und hier mal die PSD, die rumänische SPD.
An einigen Ecken verkaufen, meist eher ärmlich wirkende Frauen, gerade Blümchen, die mir stark nach Schneeglöckchen aussehen.
Viele Straßen in Iași sind sehr sehr breit, wirken wir sozialistische Paradestraßen.
Das ist oft Zeichen großer Zerstörung im zweiten Weltkrieg und danach wurden die Städte sehr auto-orientiert aufgebaut. Jede Straße ist in Iași ein Hindernis, weil die Fußgängerüberwege entsprechend sehr lang sind. Die Region Moldau, von der Iași die Hauptstadt ist und das Gebiet der heutigen Republik Moldau, waren im Zweiten Weltkrieg Schauplatz einer großen Schlacht die der Wehrmacht eine militärische Niederlage beibrachte, ähnlich der Schlacht von Stalingrad. Hier mal der Platz der Unabhängigkeit. Dieser, wie auch viele Straßen und andere Plätze sind sehr raumgreifend gestaltet.
Wie ihr wisst, geht Organisation vor Tourismus und ich nehme den langen Weg bis zum Bahnhof Socola, einen kleineren Bahnhof im Süden der Stadt.
Hier endet die Verlängerung der moldawischen Bahn, weil diese ihre Züge auf Breitspur fahren lässt, anders als in Rumänien.
Der tägliche Zug von București nach Chișinău wird an der Grenze umgespurt und fährt nachts gegen halb 3 durch Iași. Also denkbar ungünstig. Die meisten Züge enden in einem Bahnhof vor der Grenze, der den Namen der Ortschaft hinter der Grenze trägt. Sehr verwirrend. Der Weg über die Grenze geht nur per Zug, weil es die einzige Brücke über den Fluss an der Stelle ist. Eine ziemlich verzwickte Lage. Die Züge Mittags ab Socola wurden annulliert für den Winterfahrplan, d.h. es gibt nur am Abend noch ein Zug.
Zumal die Züge, wenn sie nicht auch umgespurt werden, trotzdem die volle Grenzkontrolle durchmachen, weil einfach Schengen, EU, und so weiter dort endet. Das mit den Zugfahrplänen ist nicht das, was mir gefallen würde.
Zurück in die Stadt und diesmal probiere ich das lokale Bussystem aus. Es gibt zu jeder Haltestelle an den Laternenmasten, sehr weit oben, digitale Anzeigetafeln.
Erst habe ich eine Weile die Vodafone-Werbetafeln ignoriert, bis ich direkt daneben stand und feststellte, dass sie eigentlich keine Sim-Karten verkaufen sondern Tickets für Bus und Straßenbahn. Leider gibt es eine Reihe verschiedener Automaten und den den ich bediente, funktionierte über ein Tastatur und nur in rumänisch. Ich hab mein Tagesticket bekomme, denn Rumänisch ist im Vergleich eine dankbare Sprache.
Sodann gedenke ich auch dem Kompagnon, der gern mal alle Straßenbahnlinien abfährt oder Sinn eines Tages darin findet, die Ringbahn zu Berlin durchzufahren, damit, dass ich die Linie 1 abfahre, die selbst eine kleine Ringbahn ist und einen schönen Kreis durch die Stadt fährt. Das solls für heute gewesen sein und morgen gern mehr aus Iași.