Marosch

Mein Ziel heute ist der kleine polnische Kurort Muszyna. Screenshot 2024-02-03 at 18-16-54 OpenStreetMap.png

Ursprünglich um die Reise bis Košice zu unterbrechen, aber dazu mehr demnächst. Im ersten Schritt quetsche ich mit in den Regio-Zug nach Kraków. Ich hab mich sehr den gebundenen Buchstaben gewidmet und biete euch ein Zitat an:

“Da wir, ob gewollt oder nicht, alle frei flottierende moderne Subjekte sind, lebt natürlich niemand mehr am Ort seiner oder ihrer Geburt. […] Was uns ausmacht, ist nicht die Herkunft. Was uns ausmacht, ist das, was wir gemacht haben und machen, egals aus welcher Himmelsrichtung wir einst kamen.”

Aus Oschmanns Bestseller. Ich habs jetzt endlich durch, würde gerne darüber diskutieren, weil ich nicht allem was er schrieb zustimme, aber es hat sehr viele bemerkenswerte und richtige Provokationen. Also Leseempfehlung. IMG_20240203_084345.jpg

In Kraków sah ich dann einen kleinen Bahn-Krimi auf mich zukommen. Laut der online Ankunfts- und Abfahrtstafel für Kraków Główny (Hauptbahnhof), fährt ein Zug nach Muszyna am gleichen Gleis nur vier Minuten später ab und wir haben nur eine Minute Verspätung. Dann hielt mein Zug doch auf einen anderen Gleis und auf dem eigentlichen stand der gesuchte auch nicht.
Die nächste Direktverbindung ist erst in vielen Stunden und eine Umsteigeverbindung mit Bus, führte zu einem schmerzverzehrten Gesicht der Ticket-Verkäuferin. Reiseregel Nummer Eins: Wenn Einheimische von etwas abraten, hat das oft gute Gründe.
Beim Busbahnhof heißt es dann aber, der Direktbus würde in 15 Minuten fahren, Tickets verkaufen sie nicht mehr, die gibts nur noch beim Fahrer. Gesagt, getan und da steht der Kleinbus. IMG_20240203_125409.jpg

Der Fahrer will irgendwas beim Einsteigen von mir, was trotz der Übersetzungen anderer Gäste mir weiterhin schleierhaft ist. Am ehesten glaube ich, hat er wissen wollen, wo genau ich in Muszyna aussteigen mag. Ich dachte, dass es feste Haltestellen gibt, aber das ist nicht an dem. Er hat eine feste Route, aber man kann dem Fahrer sagen, wo genau man aussteigen mag.
Als letztes steigt noch Marosch ein, zumindest stellt er sich kurz drauf mir so vor und sicherlich wird er nicht so geschrieben. Wir sitzen auf der letzten Reihe, ich mit den Beinen im Gang, weil die Sitze einfach ultra-eng sind. IMG_20240203_135632.jpg

Marosch ist so um die 30 oder 35 Jahre alt, Grinsebacke und Schlitzohr, 4-Tage-Bart, sehr schlank, schwarze Kappe, camouflage-Winterjacke, schwarze Hose. Dazu eine Sporttasche mit gelben Streifen.
Erst freue ich mich über einen gesprächigen Polen mit ein wenig Englisch, aber nach wenigen Minuten dämmerts mir, dass das anstrengend wird. Marosch bietet mir im Minutentakt etwas von seinem “roten Wodka”, oder nennen wir es einfach Kirschlikör, an, deren Inhalt schon am Stadtrand von Kraków erschreckend reduziert ist. Dann macht er unangehm-lauten polnischen Rap an und freut sich sonst über jede Form der Konversation. Nicht nur riecht es unangenehm, auch die körperliche Distanz ist oft unzureichend. Ich bemerke, dass seine rechte Hand angeschwollen ist. Wichtige Themen der Konversation: Schlagen, Schnupfen, Spritzen. Er tut mir auch leid, weil er die typischen Reaktionen eines Menschen hat, die zu oft und ständig abgelehnt und ausgeschlossen werden. Er ist so glücklich, dass jemand vermeintlich zuhört und sich freut.
Irgendwann räumt er volltrunken seine Tausche aus: Leere Bierdosen, Schuhkarton von Adidas Größe 44, HTC-Handy-Packung, Kinder-Pyjama von Spiderman, Bäckereitüte samt öligen Inhalt, leere Becher, … Davon stellt er die Hälfte auf meinen Schoß. Zum hundertsten Mal lehne ich ab, ich möchte immer noch keinen Schluck. Ich lege alles auf den Platz zwischen uns und trainiere “ignorieren und nicht antworten”. Irgendwann pennt Marosch und ich setze mich weg, auf einen Einzelplatz.
Leider verteilt sich das Gerümpel, bei am Berg anfahren oder am Berg bremsen oder in scharfen Kurven, während der Berauschte seinen Ausstieg verschläft. Ich wollte ihn auch nicht wecken. Nach und nach leert sich der Bus und als dann der Arme sich auf wackligen Beinen zum Fahrer begibt, wird er von dem auch zum Abgang verdonnert. “Policja” ist mehrfach Thema zwischen den beiden, aber nachdem ich noch eine ungefragte Umarmung samt Küsse auf die Stirn bekommen habe, torkelt mein vermeintlicher Freund aus der Kiste.
Es ist so unangenehm und ich hoffe einfach, dass er die Hilfe bekommt, die er offensichtlich braucht. IMG_20240203_160846.jpg

Als wir in Muszyna einrollen, gibt es nur noch eine weitere Passagierin. Leider stütze ich mich beim rausgehen nochmal auf dem alten Sitz ab und merke, dass ihm der Wodka ausgelaufen ist. Schöne Scheiße.
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Die Luft in Muszyna ist deutlich angenehmer und der flaue Magen verschwindet schnell. Es wirkt alles ruhiger und kleiner hier und ich nehme mir noch etwas Zeit um durch den Kurpark zu schlendern.
Es gibt ein paar eingesperrte Enten, Papageien, Pfauen und ähnliche Vögel.
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Auch beleuchtete Tiere wie ein Weihnachtsfrosch sind zu finden.
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Überaschen tun mich noch die weißen Hirsche, weil ich mir die noch nie weiß vorgestellt habe. IMG_20240203_170355.jpg

Ansonsten alles wie ein Kurpark so halt ist. Morgen, bei Tageslicht, wird es mehr zu entdecken geben. IMG_20240203_170053.jpg

 
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