Eindrücke aus Bălți II

Heute war mein letzter Tag in Bălți und vieles habe ich ja schon aufgespürt, sodass es heute logischerweise weniger geworden ist. Doch trotzdem gibt es, zumindest für mich, spannende Entdeckungen.
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Der Weg in’s Zentrum führt laut Karte am zweitgrößten jüdischen Friedhof der Republik Moldau vorbei, aber bislang war er mir nicht begegnet. Ich habe mehrere Wege ausprobiert, aber erst der letzte Versuch verhalf mir zum Eingang. Wer den Zugang sucht, hier ist der Eingang. IMG_20240215_104201.jpg

Der Ort hat einen sehr speziellen Charme, eine Aura, die ich noch nicht zuordnen kann. Alle Gräber sind umzäunt, zum Teil überdacht. IMG_20240215_104505.jpg

Einige Gräber sind überwuchert und generell sind fast alle ultra-eng gestellt. Das Gelände ist hügelig und erstreckt sich unfassbar weit. Manche Bereiche sind so stark verwittert und überwuchert, dass kaum etwas zu erkennen ist. Ich habe vor allem den ersten Teil gesehen, wo besonders Menschen lagen die zu MSSR-Zeiten gestorben sind. Weiter hinten gab es deutlich historischere und auch aktuelle Gräber. IMG_20240215_104518.jpg

Es gibt ein bekannteres jiddisches Lieb über Bălți. Es heißt “Mein Shtetle Belz”. Hier könnt ihr es euch anhören: Mayn Shtetele Belz
Es besingt die Erinnerung an die Kindheit und einem kleinen Haus in Bălți. Es wurde von zwei Künstlern für die berühmte Sängerin Isa Kremer geschrieben, die in Bălți geboren wurde, die dann über die Ukraine und Italien, Russland, Polen und den USA hinaus berühmt wurde und das Lied vielfach sang. Das Lied war wohl kurz vor dem Zweiten Weltkrieg “in den Charts”.

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Mein Eindruck von der Stadt und den Menschen verstärkt sich dahingehend weiter, dass für das lokale Miteinander vor allem Russisch wichtig ist. Wenn man seinen eigenen kleinen Laden hat, dann schreibt man in Russisch auf die Schildchen was die Gebäcke kosten. Wenn man klopft um ins Klamottengeschäft zu kommen, dann startet man in Russisch. Ist man aber eine Behörde oder Geschäft von Welt, dann ist es zweisprachig.

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Die Wände der alten Industriemauern tragen selten moderne Kunst, aber wenn es so ist, dann zeigen sie auch Anteile an der alten verodneten Kunst der Nachbargebäude. IMG_20240215_113649.jpg

Im Südwesten der Stadt gibt es einen “Stadtsee”. Der sieht ganz beschaulich aus und lädt zu einem Spaziergang. Zumal der Fußweg frisch renoviert ist. Im Sommer ist sicherlich viel los, da es ein großes Freibad und ein Strandbad gibt. IMG_20240215_120336.jpg

Im Straßenbild habe ich vorab mit mehr alten Autos gerechnet, als jetzt zu sehen sind. IMG_20240215_125951.jpg

Die meisten Fahrzeuge sind offensichtlich gebrauchte Importe aus dem Westen. An manchen klebt noch die Werbung für die Handwerker in Deutschland. Nur so 5 % machen die aus sozialistischer Zeitrechnung aus und sind heute doch eher Deko. IMG_20240215_145628.jpg

Es gibt auffällig viele Hunde in der Straße, ich vermute nicht alle haben feste Besitzer:innen. Viele haben einen gelben Klipp an dem Ohr. Bislang ist mir keiner Nahe gekommen oder gefährlich geworden.

Den Bezug zu Westprodukten habe ich ja mehrfach dargestellt. Tatsächlich arbeiten wohl viele Verwandte in der EU, insbesondere Rumänien und so machen die Überweisungen der “Arbeitsmigrant:innen” einen erheblichen Anteil des Einkommens aus. Für Moldauer:innen reichen rumänische Vorfahren um die rumänische Staatsbürgerschaft zu erhalten. Das liegt auch am sehr geschwisterlichen Verhältnis beider Länder, was auch eine Bewegung zu Vereinigung der beiden Länder zum Ausdruck bringt. und natürlich die gemeinsame Sprache. Das führt dazu, dass viele Moldauer:innen sich um den rumänischen Pass bemühen, weil sie dann die Vorzüge der EU nutzen können. Hiermal eine Agentur, die ihren Service für den rumänischen Pass anbietet. IMG_20240215_144725.jpg

Ansonsten war ich nur ein letztes mal beim Bahnhof Bălți Oraș und habe in dem völlig überheizten Wartesaal eine Angestellte getroffen. Wir hatten keine gemeinsame Sprache, aber ich hatte meinen Wunsch aufgeschrieben. Sie hat mit den Händen aber sehr deutlich gemacht, dass es nix gibt. Ob es kein Zug oder kein Ticket oder keine Ahnung ist, wer wird das wissen. Dann muss ich morgen halt ausschlafen. Gute Nacht.

 
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Кишинёв

Nach einer langen Wanderung zurück zum Busbahnhof, bin ich bereit für die Weiterreise. Bălți war ein Besuch wert, aber darüber hinaus gibt es nicht viel zu entdecken. Da verspreche ich mir von der Halbe-Million-Metropole Chișinău mehr.... Continue →