Győr

Was ich zuvorderst genießen kann, ist die Tatsache, dass wieder Trinkwasser aus dem Hahn rinnt. Die letzten Tage musste ich Trinkwasser in Flaschen kaufen, was ätzend ist, zumal selbst dieses mir mindestens einmal über die Zeit schlecht wurde. Was ein Luxus gerade, aber so schön. Aber lasst uns nach erholsamen Stunden wieder unter die Menschen Győrs mischen.

Erstmal ungesteuert gehe ich mal links mal rechts und fürs erste fallen die vielen Blumen auf. IMG_20240302_093813.jpg

Nicht nur, dass sie allenorts verkauft werden, sie werden im Stadtbild auch überall gepflegt. Für Februar ja eher unüblich. IMG_20240302_095354.jpg

Es gibt begrünte und schöne Wege an der Rába und der Moson-Donau, in den erste einfließt in Győr. IMG_20240302_093916.jpg

Alle nördlichen Stadtteile Győrs, also nördlich der Moson-Donau, liegen genau genommen auf einer Insel. Die Donau ist der Grenzfluss mit der Slowakei und bildet in der Slowakei mehrere Nebenarme aus, die nach vielen Kilometern wieder sich mit der Donau vereinen. Ein solcher Arm ist die Moson-Donau, die die “Kleine Schüttinsel” bildet. So entstehen mehrere quadratkilometer-große Donau-Inseln. Im Bild ist links/hinten Inselland. IMG_20240302_095920.jpg

In der Innenstadt ist fast alles sauber restauriert und mit Figürchen ausgestattet. IMG_20240302_094244.jpg

Wer aufmerksam ist, kommt auch an einem Büro der Fidesz-Partei vorbei. Die Partei des Ministerpräsidenten Ungarns, Viktor Orbán. Die Partei ist rechtspopulistisch, wie auch ihr Chef. Er regiert das Land seit 2010 sehr autoritär und gibt meist Minderheiten oder der EU oder wem anders die Schuld für bestehende oder erdachte Probleme. In der Europäischen Union gilt Ungarn für viele Länder als nicht mehr demokratisch, sodass seit 2022 auch Gelder in Milliardenhöhe blockiert werden. IMG_20240302_102623.jpg

Teil der Propaganda ist auch ein nationalistischer Bezug auf die lange Geschichte Ungarns. Das Königreich Ungarn wurde im Jahr 1000 gegründet. Daher hier ein Millenium-Gedenkstein aus dem Jahr 2000, für 1000 Jahre Ungarn. IMG_20240302_094936.jpg

Das Land war daher über die Jahrhunderte unterschiedlich groß, wie vermutlich fast alle Länder auf der Welt. Rechtsaußen wünscht man sich aber die Anektion der “verlorenen Gebiete” wieder. Klingt leicht nach Putin. Daher findet man Karten die die Grenzen von Ende 19.Jahrhundert / Anfang 20. Jahrhundert zeigen. IMG_20240302_085154.jpg

Kann man vielleicht auch einfach als historische Karte ansehen, aber man hängt halt auch nicht irgendeine Karte auf. Die heutige Größe erhielt Ungarn nachdem es mit Deutschland, und anderen zusammen den Ersten Weltkrieg verloren hatte. Im Vertrag von Trianon trat es besonders die Gebiete an die Nachbarländer ab, die eh von deren Ethnien weitestgehend besiedelt waren, sprich beispielsweise besonders von Slowak:innen besiedelte Gebiete sind heute in der Slowakei. Nichtsdestotrotz gibt es auch heute eine große Zahl Ungar:innen in den Nachbarländern. IMG_20240302_103749.jpg

Gleich im Zentrum beim Rathaus ist ein “Nationalflaggen-Denkmal” … IMG_20240302_103719.jpg

… mit einer erneuten Darstellung des zerlegten Ungarns auf der Rückseite. IMG_20240302_103902.jpg

Ich halte ja solche Gebietsansprüche, auch wenn sie subtil geäußert werden, für gefährlich. Eine witzige Kommentierung, allerdings zu Putins Imperialismus, gab wohl vor kurzem Elbegdordsch, ein ehemaliger Präsident der Mongolei. Nach dem Motto, wenn die Mongolei erstmal historische Gebietsansprüche geltend machen möchte, aber dann … Es war von ihm als witziger Seitenhieb gemeint, aber Orbán und Konsorten meinens ja ernst. IMG_20240302_094718.jpg

Vielleicht ein wenig viel Politik zum Einstieg für heute? Es ist ja sehr viel Blickwinkel möglich. Ich kann auch einfach zeigen wie schön Győr ist. Hier mal das Rathaus. IMG_20240302_103515.jpg

oder lieber das Gebäude gegenüber? IMG_20240302_110418.jpg

Ich habe es ziemlich in der Hand wie ich Sachen darstelle, aber es ist ziemlich wichtig, erstmal wohlwollend zu starten. Ich empfinde das Theater zum Beispiel als baulich spannend und beeindruckend und sicherlich einzigartig, aber klar, es erinnert auch an stalinistische Architektur. IMG_20240302_102926.jpg

Ein wenig Pause habe ich heute am Donakapu-Platz gemacht, weil dort Markttag war. Vor mir wurden, wie soll es anders sein, Blumen verkauft. Seitlich haben sich die Omis unterhalten und aus der Gestik schließe ich, dass sie sich einig darin sind, dass irgendwas schlimm ist. Links von mir sitzen drei Männer die sich unterhalten und sichtlich freuen, aber vermutlich eher über das was sie sich unterhalten und weniger was auf dem Platz passiert. Es scheint hier der kleine Treffpunkt für manche zu sein. IMG_20240302_100441.jpg

Was besonders schwerfällt, ist der Zugang zur ungarischen Sprache. Sie nutzt zwar das gleiche Alphabet, aber baut sich ganz anders auf. Ungarisch ist wohl am ehesten mit Finnisch und Estnisch verwandt, aber nicht mit den restlichen Sprachen in Europa. Germanische (Englisch, Deutsch, Isländisch, …), Romanische (Italienisch, Französisch, Portugiesisch, …) und Slawische Sprachen (Litauisch, Tschechisch, Bosnisch, …) sind miteinander mehr verwandt, als mit Ungarisch. Selbst indische, iranische Sprachen, Armenisch und Griechisch gehören zur gleichen Sprachfamilie, wie all die vorgenannten, aber Ungarisch hat damit wenig zu tun. Dankenswerterweise aber, ist hier vieles auch in Deutsch ausgeführt. IMG_20240302_102701.jpg

Besonders ältere Beschriftungen führen nicht Englisch als Alternative zum Ungarischen auf, sondern Deutsch. Warum ist mir nicht ganz klar. Hat das was mit den (früher) vielen Tourist:innen zu tun, oder eine gefühlte Nähe zu Deutschland, oder mit Audi?

Ja mit Audi vielleicht. Győr ist an und für sich keine Großstadt. Kleiner als Potsdam und größer als Jena. Aber es liegt wirtschaftlich günstig zwischen Wien, Bratislava und Budapest, direkt an Verkehrsadern von Autobahn und Zügen. Audi hat ein Werk hierherverlegt, was wohl der größte Exporteur des Landes ist. Es werden u.a. Audi TT und Audi Q3 hergestellt. Győr ist also ein wichtiger Industriestandort im Land. Bevor ich aber mit dem öffentlichen Bus eine Runde ums Audi-Werk fahren konnte, bin ich fast an der Entwerte-Maschine gescheitert.

Es ist fast halb so teuer, 250 Forint, statt 440 Forint, wenn man vorab am Automaten ein Ticket für den Bus kauft, als dann beim Fahrer oder der Fahrerin. Doch die Entwerter funktionieren nicht durchs reinstecken, der Papierschnipsel. Sie sind noch mechanisch und die Plastiköffnung muss mit Karacho runtergedrückt werden um so sein Ticket zu stanzen. Der Busfahrerin war das egal, ich habe dagegen Menschen beobachtet, aber sie haben immer mit ihren Körper verdeckt, wie sie ihre Tickets entwertet haben. Erst kurz vorm Ausstieg bin ich hinter die Mechanik gestiegen. Konnt ja keiner wissen. IMG_20240302_140038.jpg

Das Werk hat ein knappes Dutzend verschiedener Tore oder Zugänge und ich habe es ans Tor 5 geschafft. IMG_20240302_141113.jpg

Auch die Deutsche Bahn ist schon da, vermutlich die Güterverkehrsparte. Ich habe mich der Bushalte zugewendet und bin mit der Linie 24 die Tore abgefahren und habe die Arbeiter nach der Schicht eingesammelt. IMG_20240302_142638.jpg

Neben den öffentlichen Bussen fahren auch unzählige weiße Busse des Audi-Werks rum, allerdings meist nur mit eher leeren Sitzplätzen. IMG_20240302_142526.jpg

Wenn man einmal um das riesige Gelände gefahren ist, kommt noch der ungarischer Hersteller Rába. IMG_20240302_142935.jpg

Das Werk sieht kleiner und älter aus. Die liefern vor allem Komponeten zu, wie Getriebe oder Achsen, für Kfz- oder Landmaschinenbau. IMG_20240302_143156.jpg

Nun ist der Bus voller Männer zwischen 20 und 60 Jahren, die in ihre Handys versunken sind. Mit ihren kurz-geschorenen Haaren wippen sie im Takt der Arbeit der Busfahrerin mit. Aus dem Osten der Stadt gleiten wir durchs Zentrum in den Süden und mit den ersten Aussteigern, seil auch ich mich ab. Nun, da fährt der Bus durchs Wohngebiet und alle gehen nach Hause. Es ist Freitag nachmittag, ab ins Wochenende! IMG_20240302_143953.jpg

 
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