kryptisch und kyrillisch
Es ist definitiv schwieriger, wenn die Buchstaben schon eine Hürde sind. Bei vielen Wörtern ist es ziemlich einfach, wenn man sie erstmal entziffert hat, aber das dauert jedes Mal. Bis zur Republik Moldau gab es auch lateinische Schrift überall, aber nun ist einfach alles kyrillisch. Das ist ziemlich aufwändig, zumal ich ja in vielen Situationen gleichzeitig nicht den Alltag anderer aufhalten mag. Beispiel: Ich bin in der Straße, es ist Mittag und ich hab Lust auf etwas ukrainisches zu Essen. Insofern eine Speisekarte einzusehen ist, stehe ich ja über Minuten um Buchstabe für Buchstabe durchzugehen. Das letzte Mal, dass ich so lange für’s Lesen brauchte, war wohl mit der Fibel.
Beispielsweise habe ich heute mein Zugticket nach Kiew gekauft, der Klasse “Плацкарт”. Wenn ich jetzt jeden Buchstaben durchgehe steht dort “Plazkart”, also Platzkarte.
Für den gewünschten Zug wurden drei Klassen verkauft. Diese heißen
Плацкарт (Platzkart), Купе (Kupe) und Люкс (Ljuks). Ich schätze mal, dass es in der Reihenfolge 3., 2. und 1. Klasse ist. Die Züge sind wohl sowohl Sitz-Züge als auch Liege-Züge, werden also einfach umgeklappt je nach Bedarf. Ich bin gespannt wie das wird. Die Verkläuferin hat mir wieder irgendwas erzählt, was mir unverständlich ist und auf dem dünnen Stück Papier Sachen mit Bleistift und Lineal unterstrichen.
Sie hatte auch einen gemeinsamen Computer-Bildschirm, der aber ganz im MS-DOS-Stil gehalten war. Schwarzer Bildschirm mit vielen eckigen Buchstaben, ziemlich kryptisch, manche grün oder rot leuchtend. Für Laien mag es aussehen, als wenn sie mir ihre Programmierung zeigt, aber tatsächlich zeigt sie mir mit dem Finger einzelne Infos an wie Tag und Abfahrtszeit. Wie so vieles in dem Land war der Preis unschlagbar. Ich habe für die ca. 450km Luftlinie umgerechnet ca. 6 Euro bezahlt. Der Verkaufsvorgang ging super schnell und ich rate dazu einfach im Vorfeld sich Zug und Zeiten genau rauszusuchen, auch die gewünschte Klasse und dann auf einem Zettel in kyrillisch-abgemalten Buchstaben der Frau das an die Scheibe zu drücken. Das hat viel unnötige Gebärdensprache erübrigt.
Der Bahnhof ist auch ein sehr imposantes Gebäude, aber vermutlich könnten hier viel mehr Züge fahren, denn es ist sehr ruhig. Am Eingang hört man so Knallgeräusche, vermutlich um die Tauben abzuwehren ins Gebäude zu kommen. Auf der Abfahrtstafel sind alle Züge, bis auf zwei, zwischen 17 und 22 Uhr.
Die meisten der Züge kommen auch frühs oder vormittags an. Statt nur den Zielbahnhof hinzuschreiben, steht immer die gesamte Relation da, z.B. “Odessa - Kiew”. Es gibt offensichtlich Schnell-Züge, die rot dargestellt sind und deutlich schneller sind. So gibt es nach Kiew ein Zug, der etwas über 9 Stunden braucht oder, den den ich gekauft habe, der fast 16 Stunden braucht. Vielleicht halten die auch unterschiedlich oft. Für mich ist es ein Unterkunft-Ersatz gleichzeitig, sodass es sich lohnt früher einzusteigen und später auszusteigen.
Am Gleis stand gerade ein Zug aus dem Rauch aufstieg. Ich habe gelesen, dass einige Wagons mit Kohlen geheizt werden, was mir den Rauch aus den Schornsteinen der Wagons erklärt. Entsprechend roch es am Gleis.
Im Bahnhof gibt es auch eine Ausschilderung zu einem Luftschutzbunker.
Ich habe mir eine App installiert in der ich die Orte bestimmen kann, die mir wichtig sind und ich bekomme dann angezeigt, ob es Luftalarm gibt. Letzte Nacht war es wohl kurz in Kiew so. Heute Mittag gingen dann auch die Sirenen in Odessa, aber auch nur wenige Minuten. Ich bin stehen geblieben und hatte ein mulmiges Gefühl, aber da alle anderen ihr Leben unbeirrt fortgesetzt haben, habe ich das dann auch gemacht. Die App funktioniert logischerweise nur, wenn ich Internet habe und das geht nur wenn ich WLAN bekomme, weil ich ja keine ukrainische SIM-Karte habe. Hier gibt es aber an jeder Ecke schnelles und offenes WLAN, sodass ich oft nur wenige Meter gehen muss und mich wieder einloggen kann. Das “Free-Wifi” wird offensichtlich durch Werbung finanziert, da ich diese erst durchlaufen lassen muss, eh es sich mit dem Netz verbindet. Aber eigentlich habe ich eine Info aufs Handy auch ohne die App bekommen, scheinbar über Android. Auch hier werde ich zum Weg in den nächsten Luftschutzbunker aufgefordert, was aber sonst keine:r macht. Dafür gibt es ein Telegram-Bot, der einen den nächsten anzeigen kann. Nach einer Stunde war der Alarm in der App dann auch vorbei.
Ich habe mich heute mit Geschichte beschäftigt; der Schlacht um Odessa und dem darauffolgenden Massaker durch die rumänischen und deutschen Soldaten. Ich werde das mal nicht ausrollen, es gibt dazu Wikipedia-Artikel.
Ich kann euch auch etwas Musik von Leonid Utjossow empfehlen. Ich war bei seinem früheren zu Hause und höre mir gerade etwas seiner Werke an. Klingt alles schon alt, aber beschwingt.
Im sonnigen Park habe ich praktische Bänke gefunden um Postkarten zu schreiben.
Jetzt müssen sie nur noch zur Post.
Gleich nebenan war eine Wasserstelle. Ich vermute Mal, dass man hier Trinkwasser bekommt, was es im Wasserhahn zu Hause nicht gibt.
Ich habe heute versucht ukrainisches Essen zu bekommen. Ich bin ja Fan der leckeren Wareniki, ähnlich dem Pierogis. Wareniki sind etwas größer, eher gekocht als gebraten, mit Schmand als Beilage und kommen mit anderen Füllungen. Allerdings gibt es eine große Auswahl derer und ich werbe für Kraut.
Dazu habe ich viel spannenden Tee mit Keksen und Marmelade bekommen und außerhalb der Rechnung Schwarzbrot mit etwas unbestimmbaren Aufstrich, am ehesten wohl Schmalz.
Aus einer Menge an verschiedener Street-Art stechen die vielen Katzen von “LBWS 168” heraus, der auch auf Instagram aktiv ist.
In vielen Motiven geht es um den Widerstand gegen den Angriff der russischen Armee.
Ansonsten bin ich noch an den klassischen Wühlmärkten vorbeigekommen die wohl außerhalb des Zentrums auch größer sein sollen. Soviel schönes für heute.
PS.: morgen abend bin ich im Nachtzug. Deswegen kein Artikel dann hiert.