Кишинёв

Nach einer langen Wanderung zurück zum Busbahnhof, bin ich bereit für die Weiterreise. Bălți war ein Besuch wert, aber darüber hinaus gibt es nicht viel zu entdecken. Da verspreche ich mir von der Halbe-Million-Metropole Chișinău mehr. Sollte kein Problem sein, von der zweitgrößten Stadt in die Hauptstadt zu kommen und ja, schon der erste Kleinbus fährt genau dorthin. Der hatte auch ein Ausrufer, der beständig Chișinău rief und Menschen ansprach.
Gemäß der rumänischen schreibweise Chișinău würde ich den Ort wie folgt aussprechen “Kischine-u” oder “Kischena-u”. Wichtig ist noch aus dem “e-u” oder “a-u” nicht die deutsche Formen “eu” oder “au” zu machen, sondern die Buchstaben mehr getrennt auszusprechen. Nun klingt das beim Ausrufer doch eher wie der russische Name der Stadt “Kischinjow” (Кишинёв). IMG_20240216_110120.jpg

Macht nix, gleiche Stadt, gleicher Bus, gleiche Straße. Sobald der Bus sogut wie voll war, gings los. In dem zwar engen, aber warmen und gemütlichen Sitzen konnte ich gut in die eigenen Gedanken abschweifen, während der Fahrer die Plätze mit Menschen vom Straßenrand auffüllte. Scheinbar reicht der winkende Arm um noch einsteigen zu können. Hinzu kommt, dass auch zwischendrein Leute ausstiegen und so relativ reges Treiben herrschte.
Unangehm wurde es, weil eine frisch eingestiegene Oma mir einen Geldschein gab. Nun, ich wusste schon, dass es manchmal üblich ist, dass Fahrgäste sich als erstes hinsetzen, dann das Geld durchreichen lassen bis zum Fahrer, der dann während der Fahrt abrechnet und das Wechselgeld wieder von vorn nach hinten durchreichen lässt. Vorher hat das niemand gemacht, die ältere Frau wollte das nun. Aber irgendwie war ich auch der einzige, der darauf ansprang. So saß ich also mit dem Geldschein und hielt den im Gang nach vorn, aber niemand wollte mitspielen.
Generell hat niemand auf zusteigende Gäste groß reagiert und Plätze von Gepäck befreit. Eher stellte man sich schlafend. In Ermangelung weiterer Ideen, habe ich das Geld zurückgegeben und die Frau hat das Geld wieder vorgehalten. Nun habe ich zum hundertsten Mal zum Mann neben mir geschaut und der hat dann etwas unglücklich den Schein genommen und den Mann vor uns geweckt. So hat’s dann geklappt. Aber kurz hab ich geschwitzt.

Nach meiner Ankunft durchstreifte ich eher zufällig den großen Markt für Elektrowaren und sonstigen technischen Krimskrams. Ob ein Cover von Modern Talking wirklich verkaufsfördernd ist? Zumindest dachte der Boxen-Händler das. Ich hab verzichtet, falls ihr euch fragt ob ich einen Subwoofer mitbringe.IMG_20240216_131619.jpg

Meine Couchsurferin hat nach ihrer ersten Nachricht sich nicht nochmal gemeldet, sodass ich erstmal klassisch unterkomme. Da es alles flott von der Hand ging, blieb auch ein halber Nachmittag für eine erste Erkundungstour in Chișinău. IMG_20240216_163051.jpg

Die Aufschrift auf der Statue ist “Eroilor Comsomolului Leninist” zu deutsch “Helden der leninistischen Komsomolzen”. Komsomolzen waren die Mitglieder des Komsomol, was die Jugendorganisation der KPdSU war. Die Statue steht gleichzeitig in der Stadt an prominenter Stelle, während an anderer Stelle, auch prominent plaziert, folgende Erinnung stattfindet. IMG_20240216_153608.jpg

Auf dem Denkmal steht “în memoria victimelor deportărilor regimului comunist” zu deutsch “zum Gedenken an die Opfer der Deportationen des kommunistischen Regimes”. Das ist sehr interessant, weil es in vielen post-sozialistischen Ländern es gleichzeitg “Ostalgie” und Verklärung gibt, gleichzeitig man die Zeit aus Gründen nicht zurückhaben möchte. Beides ist, aber nicht ohne Widerspruch.
In der Wikipedia steht “Im Zuge der Sowjetisierung des Landes wurden 1949/50 rund 7 % der moldauischen Bevölkerung in die Sowjetunion deportiert und dort als verbannte Sondersiedler ihrer Freiheit beraubt.”, auch etwas was wohl andere nicht-russische Sowjetrepubliken ähnlich ertrugen. IMG_20240216_152443.jpg

Insgesamt ist Chișinău einfach größer, moderner, jünger, quirliger, als Bălți. Die Busse sind voll, die Straßen reparierter, auf hundert Meter gibt’s mehr Geschäfte, Menschen können eher auch englisch, Künstler:innen verkaufen Werke, hippe Großstädter:innen chillen in Cafés. Blühenderes Leben,

Eine halbe Wiederentdeckung sind für mich die Tscheburekis. Es gibt viele kleine Läden die (Blätter-)Teiggebäcke verkaufen. Oft eher sehr klein, sodass Menschen gleich eine Tüte mit mehrere kaufen. Zu den größen Teilen gehören die Tscheburekis, halbmondförmige Blätterteigtaschen mit salzigen Käse und, in meinem Fall, Dill. IMG_20240216_142058.jpg

Sie ähneln sehr stark den südamerikanischen Empanadas. Letztere werden seltener kalt verkauft und der Käse ist dann verlaufen und weniger gewürzt. Aber da Empanadas besonders an kalten Tagen verkauft werden, und ich bei kaltem Wind Tschebureki knuspernd und Käffchen schlürfend am Straßenrand stand, hatte ich ein Déjà-vu. Hier sind die Kaffee-Füllhöhen dem nicht-deutschen Standard entsprechend, sodass selbst für den “Americano”, was die größte Option ist, ich mich gefühlt beeilen muss, ehe die Pfütze verdampft.

Ich habe eine Unterkunft außerhalb der klassischen Innenstadt, die wieder eine Schachbrett-Mischung aus sozialistischer Architektur und ultra-breiten Straßen bietet. Hier sind viele moderne Plattenbauten, d.h erst in den letzten Jahren erbaut worden. Lediglich das verfallende Gebäude des “Staatszirkus von Chișinău” bietet einen deutlichen Kontrast. Er war wohl mal berühmt, aber wird seit 2004 renoviert. IMG_20240216_142637.jpg

Eine wie ich findet interessante Erkenntnis zu den angeschlagenen Öffnungszeiten ist, dass hin und wieder auch Pausenzeiten vermerkt sind. Dann steht beispielsweise, dass von 8 bis 18 Uhr geöffnet ist, aber von 12 bis 13 Uhr Pause. Ein Schalter hat das für mich auf die Spitze getrieben und mehrere 10minütige Pausen über den Tag hinweg benannt. Auch werden die Wochentage nicht immer wie gewohnt dargestellt, sondern mit sieben farbigen Quadraten. In dem folgenden Beispiel, ist von Montag bis Freitag offen und Sonnabend und Sonntag geschlossen. oder umgekehrt IMG_20240216_151941.jpg

Das ist mein Ausblick und damit bis morgen. IMG_20240216_141213.jpg

 
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